Mary Morgan «trainiert» in Ringwil fÜr Las Vegas
Zeitungsartikel
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Mary Morgan «trainiert» in Ringwil für Las Vegas
Peter Meiers Erstling "Stationen"
 

Tages Anzeiger
6. Februar 1978

Mit dem kulturellen Austausch zwischen Hamburg und der Schweiz scheint es zu klappen: Während die Opernfans in Hamburg begeistert dem Zürcher Monteverdi-Zyklus applaudieren, beklatscht man in Ringwil im Zürcher Oberland den Hamburger Transvestiten-Star Mary Morgan. «Ihr» einmonatiges Gastspiel (täglich ausser Montag) im Restaurant «Anker» musste bereits um vierzehn Tage verlängert werden.

In den Töpfen schmilzt Fondue, Bier und Wein werden in Hektolitern abgesetzt, die Wände des dörflichen Kulturunternehmens sind sinnigerweise mit Zwiebel- und Rübenattrappen behängt: Mary Morgan präsentiert vor dem sehr bunt zusammengesetzten, von weither gereisten Publikum ihre Show «Mann oder Frau, wer weiss es genau?» In einer Ecke der mit weichen Stoffeiszapfen dekorierten Wirtsstube steht eine kleine Brettelbühne mit einem Hintervorhängli und einem Mikrophon, in der Fensternische liegt schon das Tonbandgerät bereit.

Um halb zehn gehen im «Anker» die Lichter aus, die dröhnende Musikanlage und die heitere Gesellschaft verstummen, Scheinwerferlicht, Bläsertusch, Beifall und eine Conférencierstimme ab Band bereiten uns auf den ersten Auftritt vor.

Mary Morgan kommt von hinten, der Wirt vom «Anker» führt sie ein. Chansons, Musicals und Evergreens singt sie, die Diva, deren Kennzeichen laut Plakat sexy und lieb lauten. Zwischen einzelnen Gesangsnummern wird munter geplaudert, respektive Talk-Show gemacht. Mit neckischer Bosheit nimmt Mary die Männer hoch, und an spontanen Reaktionen fehlt es den Anwesenden mitnichten. Sie antworten hochdeutsch und Schweizerdeutsch, Hemmungen haben sie keine. Auch Ausspracheübungen betreibt Mary: mit ihrem «Mäx Fäktr» an den Wangen bringt sie ein Stück Amerika ins Dorf; sie selbst trainiere in Ringwil für Las Vegas. Und dann (nach Tusch, Conferencierstimme, diskretem Knopfdruck in der Fensternische und diesmal LifeApplaus) wird wieder gesoffen, gebrüllt, gegrölt, gefressen.

Nach eindeutigem, travestiefreudigem Publikum schaut man umsonst aus, es ist sicher da, aber in der ländlichen Umgebung aufgegangen, also unkenntlich geworden. Und travestiefreudig sind, oh Wunder, auch die Nichteindeutigen. Seit der «Anker» vor einem Jahr mit den Männershows begonnen hat, kommen Pilger aus Hinwil, Wetzikon und Rüti nach Ringwil in Scharen. Engagiert werden die Stars direkt von Hamburg, das bürge für Qualität.

Dem kann ich nur zustimmen. Nachdem sich Mary in einem Blackout kurz vor dem Schluss der zweiten Show schnell in der Küche mit roten Straussfederboas geschmückt hatte, lüpfte es die Zuschauer schier von der Holzbank. Der zweite Höhepunkt kam unvermeidlich mit der Demolierung der Brüste am Schluss der dritten Show und mit dem «totalen» Striptease. Da staunten die «Anker»-Gäste!

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