TheaterstÜcke
Theaterstücke
Frühe Stücke:
Der Blumengarten (vor 1971)
Wer hat den Längsten?
(1974/75)
Das Glockenspiel im schwarzen Palast (1974)
Die Einweihung des öffentlichen Waisenhauses (1976)
Eine Blutwurst für King Kong (1978)
Schlag mich, peitsch mich, süsser Löwe (1978)
Stück ohne Titel (1979)
Liebe Spielen (1979/80)
Die letzte Hoffnung (Libretto, 1976)
Späte Stücke:
Sterns Stunden (1981)
Aus böhmischen Dörfern
Die Reise zum Mond
Kambek
Zwischen dem Kuss und Wiesersehen
Traiskirchen (1988)
Ein Neger mit Gazelle
Drei Sterne über dem Baldachin
Die Engel von Hollywood (Dramatisierung 1989/90)
Im Schatten der Büsche (1991/92) - Manuskript-Fragment
  Die Sünde schmeckt wie Marzipan,
und ich nasch so gerne dran.
Was mir passiert, wer weiss,
mein Herz das klopft so stark, so heiss.
Im Herzen liegt ein Diamant,
die Liebe wird er sonst genannt,
ein Schloss mit einer Feder,
den Schlüssel hat nicht jeder,
und wer ihn hat ist ohne Geld
der reichste Mann auf dieser Welt.

(aus der Bühnenfassung von "Die Engel von Hollywood")

 

Michael Zochow....schreibt obwohl ihm die Bühnen seine Anhänglichkeit nur sehr zögernd vergelten, unbeirrt Theaterstücke, die gleichermassen leichtsinnig und schwermütig sind. Er vermischt Reales mit Erfundenem, Gehörtes mit Erlebtem, er führt an der Nase herum, probiert aus, verstellt sich und sagt auch ganz direkt die Wahrheit. Seine grosszügige „Freiheit“ mit persönlichen Daten ist kein Bluff, keine Aufschneiderei. Allenfalls ist Zochow ein poetischer Leichtfuss, ein Zauberer und Paradiessucher, dessen „Hebräerland“ wie das der Else Lasker-Schüler weder zeitlich, noch räumlich zu fassen ist. Mit Else Lasker-Schüler teilt er das Befremden gegenüber den kühlen Menschen mit einer klaren Weltanschauung: „Wie unkindlich sind eigentlich diese gelehrten Menschen mit der Festlegung ihrer Welt. Nicht wahr? Nur der sich öffnet den Möglichkeiten, zu dem kommen die Möglichkeiten, die Wandlungen der Zeit“.

In allen Stücken und Hörspielen, die Zochow bisher geschrieben hat, spielen der Zweite Weltkrieg, der Faschismus und die Judenverfolgungen eine Rolle. Es sind aber keine Stücke, die vorgeben, die Vergangenheit bewältigen zu wollen, sie spielen nur in einer Gegenwart, der unsern, die immer wieder von der Vergangenheit eingeholt wird. Im Mittelpunkt kristallisiert sich zumeist eine zärtliche Liebesgeschichte heraus, immer belastet von der alptraumhaft zur Gewissheit werdenden Erkenntnis, dass die Opfer, auch wenn sie tot sind, genauso wie die Täter in einer Art Reinkarnation zum Ort des Verbrechens zurückkehren werden. [...]

[...] Zochow treibt keinen unlauteren Scherz mit dem Thema Auschwitz und den Naziverbrechen, vielmehr will er den Dämon des Fluchs, der die Opfer an die Täter bindet, mit seiner Art, die Gegenwart aus der Vergangenheit zu deuten, besiegen. Er hat die Illusion, die politischen Vernagelungen mit poetischem Sprengstoff beseitigen zu können. Sein dramaturgisches Credo knüpft an die Forderung Gerhart Hauptmanns an. Man muss die Menschen sehen, als wüsste man gar nichts von ihnen und erführe alles zum ersten Mal." Ausgerüstet außerdem mit dem Zauberstab surrealer Purzelbaumlogik macht er seinen Figuren Mut zum Glauben, der Berge versetzten kann. Ihr ständiger Schrecken ist die Erfahrung, dass immer schon längst passiert ist, was angeblich erst passieren soll.
(Klaus Völker in „Der Tagesspiegel“ 30.11.91)

Aus der Bettdecke hervorlugende, sich bewegende Zehen seiner Mutter kamen dem erschreckten Kind wie plötzlich im Zimmer aufgetauchte fremde Wesen vor. Über die am Abend in einem Koffer unter seinem Bett mit dem ganzen Kasperletheater versorgte Hexe, die ihn in der Vorstellung geängstigt hatte, fragte er vorsichtig, ob sie nicht krank sei und seine Mutter sie nicht besser ins Spital bringe. Die Spielfigur verschwand im Garderobenschrank.

Im Gymnasium fand er Freunde, die wie er mit glühendem Interesse ein eigenes Schultheaterprojekt, zwei kurze Stücke des absurden Theaters, auf die Beine stellten, wo sie als Schauspieler und in Regie Erfahrungen machten. Während in gemeinsamen Ferien die anderen Karten spielten, sei er ununterbrochen am Schreiben gewesen. Als dann der offizielle Theaterkurs in Leben gerufen wurde, besuchte er auch diesen.

Die frühen Stücke und sollen hier auch stehen, um die Entwicklung zu zeigen. Die frühen Stücke mögen zwar unter dem Einfluss bewunderter anderer Dramatiker stehen und von Zochow bei seinem Umzug nach Berlin verworfen worden sein, doch waren sie zur Entstehungszeit zum Lesen in Umlauf gebracht worden und sind Teil seiner Entwicklung und sollen deshalb ebenfalls hier stehen.

Zwanghaftes Wiederholen oder auch Wiederinszenieren von Gewesenem, um getanes oder erlittenes Schlimmes irgendwie zu verarbeiten, erscheint nicht erst von „Sterns Stunden“ an, sondern auch in den frühen Stücken.

Die frühen Stücke und das Libretto („Die letzte Hoffnung“) sind geprägt von Macht-Kämpfen, in „Liebe spielen werden diese zu hochintellektuellen Spielen.
Die Figur der reinen Liebe muss im Verlauf der Reihe der frühen Stücke aus einer Position der Schwäche und des Missbrauchtwerdens ihre Stärke und Überlegenheit in den späten Stücken erst entwickeln.

Parallel dazu verlieren sich die dominante machtbesessene Frauenfigur und die unterdrückte Figur, die im Sprechen behindert ist, sei es durch eine motorische oder seelische Störung, oder durch die andere Mentalität und Sprache des noch zu kleines Kindes oder des Ausländers. Eine besondere, schwierige Erfahrung war dem Hospitanten der ersten Gymnasialklasse seine Sprachunfähigkeit. Ohne ein Wort zu verstehen („Bitte, ein Schocko-Eis“ war fast sein einziger deutscher Satz) schrieb er den Schulstoff anfangs vom Kollegen ab, und abends übersetzte es ihm die Mutter. Erst als er auch im zweiten Schuljahr nur provisorisch an der Schule bleiben sollte und diese ihm aber für Nachhilfestunden einen Slawistik- und einen Germanistik-Studenten zur Verfügung stellte, überwand er sich, auch mit der Mutter Deutsch zu sprechen, und lernte er in den ersten Sommerferien (1969) die Sprache von Grund auf. Dabei half es ihm, dass auch schon in Tschechisch Grammatik seine Leidenschaft war. Zum Schulabschluss, 1974, bekam er im Fach Deutsch die Bestnote.

Die späten Stücke – geschrieben nach der Übersiedelung von Zürich nach Berlin, wo ein materiell vorerst prekäres Leben begann, nach einer kurzen Phase von Tagebuchnotizen, von der auch innerlichen Neuorientierung zeugen, und auch nach dem ersten und einzigen Zusammentreffen mit seinem Vater in Prag (1906-82), einem fremden Mann („...oder die vorbereitete zweistündige Rede meines Vaters: wie sehr der mir gefiel! Das rotkarierte Hemd ohne Knopf: ich mochte es so gut an ihm...“) – sie behandeln zumeist die jetzige Nachwirkung der Vergangenheit, insbesondere der jüdischen und den individuellen Umgang mit Erinnerung. Erst mit 13 Jahren, als schon selber gedankenlos antisemitische Redensarten nachplappernder Junge, erfuhr er von der Freundin seiner Mutter, von „Tante Marenka“, dass er Jude sei, was jene, um ihn nicht zu belasten, verschwiegen hatte.
In „Drei Sterne über dem Baldachin“ verstärkt sich zudem das komische Element.
Nur „Ein Neger mit Gazelle“ hat ein anderes Thema. Leicht und poetisch setzt es sich in der Gegenwart nach der Wende Deutschlands mit der Vorstellung und Verwirklichung von Zukunft auseinander. Die zwei Themenkreise durchmischten sich im unvollendeten Stück „Im Schatten der Büsche“.
(Daniel Corti)

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Bild: Bohdan Holomíček
 
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