Im Schatten Der BÜsche
unvollendetes Theaterstück
Theaterstücke
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Wer hat den Längsten?
(1974/75)
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Die Einweihung des öffentlichen Waisenhauses (1976)
Eine Blutwurst für King Kong (1978)
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Stück ohne Titel (1979)
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Späte Stücke:
Sterns Stunden (1981)
Aus böhmischen Dörfern
Die Reise zum Mond
Kambek
Zwischen dem Kuss und Wiesersehen
Traiskirchen (1988)
Ein Neger mit Gazelle
Drei Sterne über dem Baldachin
Die Engel von Hollywood (Dramatisierung 1989/90)
Im Schatten der Büsche (1991/92) - Manuskript-Fragment
 

 

Jahr 1992
Copyright Daniel Corti
Personen 3D / 3H
Ort der Handlung im Osten Deutschlands
Zeit der Handlung nach der Wende (Wiedervereinigung von 1989)

Personen:

Wolfgang Asche
Sabine, seine Frau
Gottlieb Todt
Frau Endlich
Gieselinde Maria, ihre Enkelin
Herr Strohwitwer

 

Über das Stück-Fragment

Nach der Wende reist Wolfgang, der Westdeutsche Geschäftsmann im Auftrag seiner Firma an einen Ort im Osten Deutschlands. Sabine, seine sich neben ihm mehr und mehr als Staffage vorkommende Frau verlässt nur ungern ihre alte Heimat. In einer ihm zugeteilten Liegenschaft wohnen die übrigen Personen: Frau Endlich, eine der Vernichtung entkommene konvertierte Jüdin, die nun alles unternimmt, damit ihr nicht gekündigt wird, aus berechtigter Angst, dass sie dann in ein Altersheim und ihre Enkelin Gieselinde in eine Jugend-Anstalt kommt. Die aus dem Westen kommende, ältere Sabine und die unerfahrene jüngere Gieselinde verstehen sich unmittelbar gut. Gottlieb Todt will Gieselinde heiraten. Aber er verachtet alles Westliche, aus Bequemlichkeit und Furcht, seine Macht als staatlicher Hausverwalter zu verlieren.

Der im dunklen Keller wohnende Herr Strohwitwer versucht, die kleine Gieselinde mit Süssigkeiten zu sich zu locken und zu betatschen. Es ist der ehemalige Hausbesitzer und Faschist vor der Enteignung durch den ostdeutschen Staat, von welcher Gottlieb ebenso wie auch vom Dritten Reich profitiert hat.

In einer anderen Variante ist Gottlieb Weihrauch Gieselindes nach Westdeutschland geflüchteter Vater, der die Urne mir der Asche ihrer Mutter, der Tochter von Frau Endlich, bringt und der auch gleich wieder abreisen und sich im Gegensatz zu den zwei Frauen an nichts erinnern will.
(Daniel Corti)

 

Im Schatten der Büsche

Prolog

Sabine Jetzt gilt es Abschied nehmen. Auf Wiedersehen sagen.
Wolfgang Wir haben, Liebling, allen schon auf Wiedersehen gesagt. Frau Müller Frau Meier, Frau Schmid.
Sabine Abschied nehmen von der alten Heimat, vom Zuhause, von den Orten unserer Jugend.
Wolfgang Oh süsse Verbannung! Gleich sechshundert und einundzwanzig D-Mark mehr!
Sabine Eine Gegend ohne Telefonanschlüsse! Roh, wild, vielleicht noch ursprünglich!
Wolfgang Es wird dir dort gefallen, Schatz. Ich schwöre es!
Sabine Ein Wahnsinn, Wolfgang, trotzdem, den Rhein gegen die Elbe einzutauschen.
Wolfgang Mehr Geld, mehr Aufstiegsmöglichkeiten. Und im Sommer fahren wir auf die Seychellen.
Sabine Oh, Wolfgang, ich habe Angst! Die Leute werden uns dort hassen.
Wolfgang Sollen sie doch, solange wir uns nur lieben.

1.Szene

Gieselinde Schimpfen Sie nicht, Herr Gottlieb, bitte!
Gottlieb Warum nicht, das ist mein gutes Recht. Arschlöcher!
Gieselinde Sie bekommen eine Falte mitten in der Stirn, und dann gefallen sie mir nicht mehr.
Gottlieb Gut, ich nehme mich zusammen.
Gieselinde Ich bin trotzdem auf sie neugierig.
Gottlieb Du wirst enttäuscht sein. Sie sind vollkommen nichtssagend, blass und furchtbar unsympathisch. Seit sie da sind, geht alles schief

Frau Endlich kommt mit einer völlig verbrannten Torte

Frau Endlich Die Herrentorte ist mir komplett verbrannt. Ich werde mich an den Gasherd nie gewöhnen.
Gottlieb Na bitte! Was habe ich gesagt: sie bringen Unglück!
Frau Endlich Aber sie ziehen doch erst ein.
Gottlieb Sie ziehen erst ein, aber sie strahlen schon etwas Verderbendes voraus. Ihre Herrentorte. Oder schauen Sie mich an: ich schlafe nicht mehr, Tag und Nacht nehme ich an irgendwelchen Umschulungen teil, esse nur noch kalt, rasiere mich nicht, wasche mich nicht, laufe herum in den selben Kleidern. (zieht sein Jackett aus) Riechen Sie! Ist das nicht peinlich? Zum Teufel mit der Vereinigung!
Gieselinde Ich habe mir von meinem Taschengeld ein Deodorant gekauft.
Gottlieb Was!
Gieselinde Einen Stift von unsäglich angenehmem Duft. (hebt den Arm) Na, was sagen Sie?
Gottlieb (riecht) Abscheulich! Widerlich! Ungesundes Zeug! Wirf es weg! Im Deodorant sind Stoffe drin, die deine junge Mädchenhaut zerstören.
Gieselinde Was verstehen Sie schon von junger Mädchenhaut?
Gottlieb Nur soviel, dass sie aufrichtig ist.
Gieselinde Aufrichtig? Die Haut? (lacht)
Gottlieb Das meinte ich, Frau Endlich, noch sind sie nicht da, schon macht sich ihr Einfluss bemerkbar.
Frau Endlich Pst, Herr Todt, sie kommen.

Wolfgang und Sabine treten auf

Sabine Bezaubernd, wirklich wunderschön! Eine richtige Idylle!
Wolfgang Ja, sehr schön, pass auf, der Müll.
Sabine Das macht nichts. Bei uns ist alles so herausgeputzt, hier dagegen ist noch alles auf den Menschen zugeschnitten.
Gottlieb Abfall, Schmutz und Dreck.
Wolfgang Asche, Wolfgang. Meine Frau Sabine.
Frau Endlich
Elisabeth Endlich. Ich hoffe, Ihnen gefällt's bei uns. Und das ist Gieselinde, meine Enkelin.
Gieselinde Willkommen!
Sabine Ich bin begeistert, Frau Endlich. Der Garten, die Holunderbüsche, alles wie bei uns vor dreissig Jahren. Im Schatten der Büsche hatte ich die ersten Rendezvous.
Frau Endlich Auch die Gieselinde spielt dort gern.
Sabine Ist sie schon so alt?
Frau Endlich Allein: natürlich. Oder mir Herrn Todt.
Sabine Wie?
Gottlieb Ein dummer Name. Ansonsten bin ich harmlos.
Sabine Freut mich. (reicht ihm die Hand)
Wolfgang Ich hoffe, wir werden alle gute Freunde werden. Schliesslich sind wir jetzt ein Volk. (lacht und geht)
Frau Endlich Ich habe eine Torte gebacken, zur Begrüssung.
Sabine So schwarz?
Frau Endlich Eine Herrentorte. Da ist viel Schokolade drin. Zart- und edelbitter.
Wolfgang Schade. Wir haben keine Zeit. Wir müssen gehen.
Sabine Wohin?
Wolfgang: Ansprachen., Liebling. Dein Seidenkleid. Und dann treffen wir die Tante von der Treuhand. - Wirklich sehr schön hier, wir bringen's schon auf Vordermann. Schatz - (reicht Sabine die Hand)
Gottlieb Brauchen Sie vielleicht ein Taxi?
Wolfgang Uns steht ein Wagen zu Verfügung. Das wäre nämlich unwirtschaftlich, immer mit dem Taxi hin- und herzufahren

Er und Sabine gehen weg. Sabine stolpert, stürzt fast, Wolfgang fängt sie aber rechtzeitig auf. Beide ab

Gottlieb Faules Pack! Warum steht uns kein Wagen zur Verfügung?!
Frau Endlich Pst...
Gottlieb Wie anmassend, wie arrogant er ist! Ohne jedes Einfühlungsvermögen! Und sie! Kaum hat sie uns begrüsst, schon denkt sie an ihre ersten Rendezvous.
Frau Endlich Ist das so schlimm, Herr Todt? Wenn eine Frau älter wird...
Gottlieb Aber sie gibt ihr Alter gar nicht zu! Sie macht auf jung! Mit allen Mitteln der Verstellung.
Frau Endlich Pst! Pst!
Gottlieb Und Sie, Frau Endlich, Sie machen Ihrer Rasse wirklich eine Ehre! Ein Glanzstück, mit der Herrentorte. Total verbrannt, gut höchstens für den Müll, präsentieren Sie sie trotzdem als Begrüssungskuchen.
Frau Endlich Ich wollte ihnen eine Freude machen...
Gottlieb Freude!...das Wort müssen wir für länger aus dem Wortschatz streichen. Was Sie da Freude nennen, das war nur eine Lüge, um sich bei ihnen einzuschmeicheln. Wie alt sind Sie, Frau Endlich, dass Sie noch immer schwindeln?

Frau Endlich weint und wirft die verbrannte Torte auf den Müll

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Manuskript "Im Schatten der Büsche"
 
 
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