DIE REISE ZUM MOND
in drei Teilen
Theaterstücke
Frühe Stücke:
Der Blumengarten (vor 1971)
Wer hat den Längsten?
(1974/75)
Das Glockenspiel im schwarzen Palast (1974)
Die Einweihung des öffentlichen Waisenhauses (1976)
Eine Blutwurst für King Kong (1978)
Schlag mich, peitsch mich, süsser Löwe (1978)
Stück ohne Titel (1979)
Liebe Spielen (1979/80)
Die letzte Hoffnung (Libretto, 1976)
Späte Stücke:
Sterns Stunden (1981)
Aus böhmischen Dörfern
Die Reise zum Mond
Kambek
Zwischen dem Kuss und Wiesersehen
Traiskirchen (1988)
Ein Neger mit Gazelle
Drei Sterne über dem Baldachin
Die Engel von Hollywood (Dramatisierung 1989/90)
Im Schatten der Büsche (1991/92) - Manuskript-Fragment
 

 

Jahr 1986
Copyright Daniel Corti
Personen Teil I: 4D / 5H ; Teil II: 4D / 3H ; Teil III: 2D / 2H
Ort der Handlung Ägypten / Slowakei / Schweiz
Zeit der Handlung 1943 / 1900 / 1986

Personen

1. Teil

Edith
Mary
Richie
Herr Botschafter
Frau Botschafter
Farouk
Dichter
Mohammed
Angelo

2. Teil

Deborah
Mordechaj
Irma
David
Miriam
Salomon
Antschi

3. Teil

Valerie
Rosa
Juan
Kellner


Über das Stück

[...] "Die Reise Zum Mond", 1986 in Frankfurt uraufgeführt, besteht aus drei Teilen oder richtiger aus drei Stücken, die einander bespiegeln, kommentieren und sich am Ende verblüffend bestätigen. De Anfang macht ein "Mörderspiel" in der Bar des britischen Militärlagers in Ägypten 1943. Hier verkehren König Farouk, der britische Botschafter und seine Gattin, bei der britischen Armee beschäftigte Frauen, unter ihnen die aus der Slowakei stammende Jüdin Edith, ein Dichter, ein italienischer Kellner und ein ägyptischer Diener. Es gibt die Spiel-Wirklichkeit 1943 in jenem Lager und zugleich gibt es die Wirklichkeit des sogenannten Mörderspiels und darüber hinaus noch eine imaginierte Wirklichkeit der Bühnenfiguren. Beim Mörderspiel darf derjenige, der beim Spielen eine bestimmte Karte zieht, durch Augenzwinkern jemanden umbringen. Der Dichter wird schliesslich der Spiel-"Mörder": er tötet Edith (die er liebt) und dann Farouk (weil dieser ebenfalls Edith begehrt). Beider "Geist" fährt dann wie der Dibbuk der Legende in die Körper des britischen Botschafterehepaares. Bei zunehmendem Mond erleben wir eine Art ägyptischen "Sommernachtstraum". Am Ende ist der Dichter eingeschlafen und gestorben.

Die Handlung des zweiten Teils, der den Titel "Ewige Stadt" hat, spielt 1900 in der Slowakei, im Haus des Rabbiners Salomon Kohn. Dessen Sohn Salomon hat das väterliche Haus und seine junge Frau Deborah verlassen , um nach Jerusalem zu ziehen. Die vereinsamte junge Frau leidet an Zwangsphantasien. In einer stürmischen Nacht, wenn ein Hund vor der Tür heult, scheint der Verschollene zurückzukehren. Oder wird sie vom Dibbuk heimgesucht? Am Ende der Gespensternacht tritt Deborah vor die Tür und kehrt mit einem Hundekadaver zurück.

Während sich im ersten Teil der kolportagehafte Krimi und eine wunderbare filigrane poetische Suggestionskraft die Waage halten, ist der zweite Teil mit Mystischem überladen, zuviel Zauberkram und schwülstiger Kitsch sind lediglich Zitate, undeutliche Poesie aus zweiter Hand, das abschliessende Satyrspiel, im heutigen Zürich spielend, versucht dann mit einem bewusst banalen Possenschlenker wieder Boden unter die Füsse zu bekommen. [...]
(Klaus Völker, Der Tagesspiegel 30.11.91)

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Die Reise zum Mond

1. Teil: Das Mörderspiel

Ägypten 1943. Ein britisches Militärlager in der Wüste. Eine Bar unter den Bäumen, etwas seitlich hinten ein Pingpongtisch. Lautes arabisches Gebet aus dem Lautsprecher. Mohammed betet auf seinem Teppich. Angelo staubt die Möbel in der Bar ab. Edith tritt auf. Mohammed ab.

Edith Hier kommen noch zwei Kissen. Der König ist klein.
Angelo (salutiert) Zu Befehl. Sind Sie schon General? Sie werden General werden. Sie haben eine laute Stimme.

Mary und Richie treten auf. Sie gehen auf den Pingpongtisch zu und winken Edith zu sich.

Edith Es stinkt hier nach schlechter Seife, (geht zu dem Pingpongtisch)

Angelo atmet tief ein und holt die Kissen. Edith spielt gegen Richie. Mohammed, der englische Botschafter, seine Frau und ein alter ägyptischer Dichter treten auf und gehen auf die Bar zu. Angelo zieht sich zurück.

Frau Botschafter Versteht er uns?
Herr Botschafter Natürlich versteht er uns. (zu Mohammed) Wie geht es dem König?

Mohammed lächelt.

Herr Botschafter Der König Farouk ... sein Bein?

Mohammed lächelt.

Herr Botschafter Kann er empfangen?

Mohammed lächelt.

Frau Botschafter Ich muss in den Schatten, (setzt sich)
Herr Botschafter Wir sind angemeldet.

Mohammed lächelt.

Herr Botschafter Er weiß, dass wir kommen.

Mohammed lächelt, zeigt gegen den Himmel, verbeugt sich und ab.

Dichter Der König wird uns empfangen, wenn die Sonne untergegangen ist.

Herr Botschafter schaut die Sonne an. Sein Blick bleibt auf den Spielenden ruhen.

Dichter Hoch lebe der König.
Frau Botschafter Ich bin tot. (zu Angelo) Ein Glas Wasser ... Bitte!

Das Gebet wird lauter. Frau Botschafter sagt etwas. Angelo bringt ihr Wasser. Frau Botschafter sagt etwas und starrt ins Leere. Auf einmal ist das Gebet zu Ende.

Frau Botschafter Ich wollte nur sagen ... nichts.
Dichter Die Sonne ... Sie wird nicht untergehen ...
Frau Botschafter Wird nicht ... was sagen Sie?
Dichter «Niemals wird über Ägypten die Sonne, die strahlende Mutter und Königin, sinken.»
Herr Botschafter Das haben andere auch schon gesagt. Und was ist aus ihnen geworden?
Frau Botschafter Schaut! Seht!

Der König Farouk, auf Mohammed gestützt, tritt auf. Er geht auf den Pingpongtisch zu.

Farouk Ich werde mit dem Sieger spielen.
Frau Botschafter Hat er uns gesehen?
Herr Botschafter Natürlich hat er uns gesehen.

Edith hat gewonnen und spielt jetzt gegen Mary.

Dichter «Den süßesten Zucker in kostbare Früchte des Südens treibt aus den Ästen und Wurzeln die Reife, mit zärtlichster Liebe füllt sich dem Manne im Alter das Herz. Das Donnern vergangener Zeiten verstummt im Pochen des Blutes, das künftige Winde verwandeln in mächtigen Sturm.»
Herr Botschafter Die gefallen ihm besser als wir. Wenn ich der König von Ägypten wäre ...
Frau Botschafter Pst! Hör zu! (zum Dichter) Bitte! Reden Sie! Sprechen Sie weiter!

Der Dichter lächelt.

Frau Botschafter Das war doch nicht alles.
Dichter Ihr Schmuck ... Sie haben wunderbaren Schmuck an. Ich beglückwünsche Sie.
Frau Botschafter Ach das ... Das ist nichts. Für die Wüste ...
Dichter Der Schmuck ist sehr alt.
Frau Botschafter Ja ... ich habe ihn schon lange, (zeigt auf ihren Mann) Seit wir uns kennen.
Herr Botschafter Was?
Frau Botschafter Der Schmuck ...
Herr Botschafter Ach so ... Schön, nicht? (schaut zu den Spielenden)
Dichter So lange kennt ihr euch schon?
Frau Botschafter So lange. Aber nur so nebenbei. Nur so nebenbei und lebenslänglich, (schaut den Schmuck an)
Nur weiß ich nicht mehr, was nachher geschah.
Dichter Der Schmuck stammt aus der Pharaonenzeit. Aus der 18. Dynastie.

Edith hat gewonnen. Farouk und Edith spielen.

Herr Botschafter (zeigt auf den König) Nach einem Autounfall. Keines Transportes fähig. Und nach drei Wochen?
Frau Botschafter Der König spielt!
Herr Botschafter Ob sie ihn gewinnen lässt?
Angelo Die nicht. Die lässt niemanden gewinnen. Auch Könige nicht. Die wird mal General. Aber niemand wird sich mit ihr darüber freuen. Alle werden tot sein. Die ganze Familie.
Herr Botschafter Jüdin?
Frau Botschafter Wenn ich ihre Haare hätte ...
Herr Botschafter Er spielt auch nicht schlecht.
Frau Botschafter (zum Dichter) Das ist doch mehr als so ein Schmuck, solche Haare. Solche Haare sind unbezahlbar. Kennen Sie einen Vers darauf?

Der Dichter lächelt.

Frau Botschafter Aber dann machen Sie doch einen. Sie sind doch Dichter. Machen Sie ein Gedicht über ihr Haar.
Dichter «Die Seide aus China wird matt, wenn du dich näherst, du schweigsame Königin von jenseits der Meere, mich aber kann der Glanz deines Haares nicht täuschen, den ihm verliehen hat die tausendjährige Asche.»
Frau Botschafter Die tausendjährige Asche? Wieso? Das ist vielleicht tiefsinnig, aber ich wollte etwas über ihr Haar. Wenn ich mir ein Gedicht über ihr Haar aufsagen kann, bin ich nicht mehr so neidisch drauf. (Der Dichter lächelt.) Dann muss ich selber das Gedicht verfassen. Seit wir in diesem Land sind, führe ich ein Tagebuch. Jede Woche reiße ich die Seiten aus und schicke sie meiner Schwester nach London.
Herr Botschafter Sie hat gewonnen. Sie sollte einen Orden kriegen. Hat den König Farouk beim Tischtennis geschlagen. Bravo, kleine Jüdin!
Edith Sie sind ein guter Partner. Ich werde Muskelkater haben.
Farouk Es wird noch einige Tage dauern, bis ich in Hochform bin. Sie sind mir eine Revanche schuldig. - Aber dann bin ich nicht mehr hier. Nur die Sonne wird untergehen, wenn ich weg bin, als wäre ich da.

Das Pfeifen einer Lokomotive. Farouk stützt sich auf Mohammed und ab. Skandierte arabische Rufe. Edith, Mary und Richie ab.

Herr Botschafter Was ist das für ein Lärm?
Frau Botschafter Die Sonne ... sie geht unter!
Angelo Der Gratiszug aus Kairo. Ein Extrazug, seit der König hier ist. Um ihn zu begrüßen, fahren die Leute zwei Stunden in der Hitze, zusammengepfercht wie das Vieh zum Schlachten. Und dann sehen sie ihn für zwei Minuten und fahren glücklich wieder nach Hause. Bei uns wird nur ein Opernsänger so gefeiert, (ab nach hinten)
Dichter Das Volk liebt den König. Und was das Herz liebt, verlangen die Augen zu sehen. Hoch lebe der König.
Herr Botschafter Hoch lebe er.
Frau Botschafter Und wer wird bei uns gefeiert? Haben wir keinen Opernsänger? Warum jubeln wir nicht dem König zu? Warum fordert uns niemand auf, unserer Begeisterung Luft zu machen? (zum Dichter) Ist es die Sonne? Sagen Sie, ist es die Sonne?

Das Pfeifen der Lokomotive. Die Rufe werden schwächer.

Dichter Sie ist untergegangen.

Gestützt auf Mohammed tritt der König auf.

Farouk Willkommen, Freunde! Ich habe mir den Fuß verrenkt. Jetzt hüpfe ich wieder.
Herr Botschafter Wir haben uns auf einen Besuch am Krankenbett gefasst gemacht.
Farouk Die Vorsehung ließ mich in der Nähe eines Lazaretts verunfallen, (zum Dichter) Was bedeutet das? Siehst du darin irgendwelches Zeichen? (zum Botschafter) Seitdem bete ich jeden Tag für die Toten. Das Land betet mit.
Frau Botschafter War das ein Totengebet? So laut?
Farouk Damit es die Toten hören und sich freuen, dass man an sie denkt. Machen Sie nicht so ein trauriges Gesicht.
Frau Botschafter Ich bin nur müde. Wir fuhren durch die Wüste. Die schlechten Straßen, die langen Entfernungen, die Sandstürme ...

Edith, Mary und Richie treten auf. Sie haben ihre Uniformen ausgezogen. Edith trägt ein helles, glänzendes Nachmittagskleid und ein Tuch um den Hals, Mary ein schwarzes Abendkleid mit großem Blumenmuster und eine Perlenkette, Richie trägt ein englisches Kostüm.

Farouk Man könnte meinen, dass ihr die schönste Armee der Welt habt, (zu den Offizierinnen) Herr und Frau Botschafter erstatten mir einen Höflichkeitsbesuch.
Herr Botschafter Ich muss passen.

[...]

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Programmheft
 
Edith - M. Zochows Mutter
 
Lew Kambek alias M. Zochow als Salomon
 
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