Die Einweihung des Öffentlichen WAisenhauses
Ein Schauerdrama in 19 Szenen
Theaterstücke
Frühe Stücke:
Der Blumengarten (vor 1971)
Wer hat den Längsten?
(1974/75)
Das Glockenspiel im schwarzen Palast (1974)
Die Einweihung des öffentlichen Waisenhauses (1976)
Eine Blutwurst für King Kong (1978)
Schlag mich, peitsch mich, süsser Löwe (1978)
Stück ohne Titel (1979)
Liebe Spielen (1979/80)
Die letzte Hoffnung (Libretto, 1976)
Späte Stücke:
Sterns Stunden (1981)
Aus böhmischen Dörfern
Die Reise zum Mond
Kambek
Zwischen dem Kuss und Wiesersehen
Traiskirchen (1988)
Ein Neger mit Gazelle
Drei Sterne über dem Baldachin
Die Engel von Hollywood (Dramatisierung 1989/90)
Im Schatten der Büsche (1991/92) - Manuskript-Fragment
 

 

Jahr 1976
Copyright Daniel Corti
Personen 3D / 6H + 1 Engel
Ort der Handlung Südböhmen
Zeit der Handlung Herbst 1948

Personen:

Genosse Karrhann
Pfarrer Koukol
Fulko, Ministrant
Dledladl, Ministrant
Ambrosius, Schweinehirt
Okobohl, Bischof
Engel
Lionel, Monster
Julia, Monster
Melusina, ehemalige Grundbesitzerin

 

Über das Stück

1948 wurde der damaligen Tschechoslowakei der Russische Kommunismus aufgedrückt. Enteignungen, und Prozesse folgten (Slansky-Prozesse, 1952, Hinrichtungen meistens wieder von Juden). Auch M. Zochows Mutter musste 1951, binnen einer Stunde, ihren Arbeitsplatz verlassen und Beschattung und unzählige Verhöre auf sich nehmen. Erst mit ihrer Schwangerschaft liess man davon ab, sie als Spionin zu verdächtigen.

Julias und Lionels Vater, Patzerock, hat versucht, im neuen System mitzumachen, dessen Vertreter hier Karrhann ist, (und wo laut Dledladl, der sich “ohnehin zu blöd für eine Selbstbestimmung” findet alle glücklich sein werden, weil nun alles allen gehöre). Er ist aber nur dafür benützt worden, das Vieh der Grundbesitzerin Melusine zu enteignen, und dann fallengelassen. Aus Wut und Rache hat er ihre Schweine getötet, die er hätte dem Staat zuführen sollen, und sich aus Verzweiflung erhängt. Soweit die Vorgeschichte. Seine zwei Kinder werden als Monstren zur Abschreckung allem Volk gezeigt. “Um-er-zie-hung!”. Die ältere Julia versucht, ihren Bruder vor dem bösen Einfluss zu schützen. Er ist noch zu klein, sich richtig ausdrücken.

Mehrere Figuren hier haben zum Teil eine quasi ländliche, etwas unbeholfene, derbe Ausdrucksweise.

Pfarrer Koukol hält heimlich Proben ab für sein Lehrstück über die Liebe unter den Menschen, über Lionels und Julias Schicksal, die auch selber mitspielen sollen. Es soll zur Einweihung des öffentlichen Waisenhauses gespielt werden, zu welchem Melusines Haus mit dem Segen des Bischofs nun werden soll, da sie es lieber mit Wohnrecht der Kirche geben, als es sich vom Staat auch noch nehmen lassen will.

Karrhann macht den dummen Ambrosius, der den toten Schweinemörder hasst, weil ihm dadurch seine sodomitische Befriedigung verunmöglicht ist, zum spionierenden, heimlich das Grab entfernenden Helfer. Dem protestierenden Pfarrer befiehlt er, dass in seinem entdeckten, nicht verbotenen, aber zu veränderndem Stück Julia und Lionel aber als Monstren aufzutreten hätten.

Das Waisenhaus will er verstaatlichen. Mit dem zur Einweihung anreisenden, zwar klügeren Bischoff glaubt er das regeln zu können: “Nur ist das Hirn dann wie in Ketten, wenn's darum geht, das Fett zu retten.” Lustvoll reimend redet Karrhann mit sich. Den sich gescheit vorkommenden, zwischen Stuhl und Bank geratenen voreiligen Überläufer, den Ministranten Dledladl, lässt er zappeln, damit er sich mehr anstrengt. Der Pfarrer Koukol ändert zwar sein Stück und schreibt ihm aber auch die Wahrheit ein, so dass das den Kindern nur angedichtete Monströse darin entlarvt wird. Der Engel, ein Schauspieler, probiert aber nichtsahnend im falschen Moment seine neue Rolle, so dass ein positiver Effekt wieder unmöglich geworden ist.

Bischoff Okobohl verhält sich wie erwartet und befiehlt Koukol, die Schenkung an den Staat weiterzuleiten, Melusine könne ja als Aufsicht dableiben. Bald wird sie im eigenen Stall wohnen und das Haus dem Staat gehören, Karrhann. Ambrosius mästet die Kinder im Stall und macht ihnen Angst, indem er ihre neue Monster-Rolle erwähnt. Julia glaubt dem Pfarrer nicht mehr. Melusine vermag dem verzweifelten Lionel vorübergehend die Angst zu nehmen, er liebt sie dafür.

Fulko versucht Dledladl seinen Ministrantenkollegen vergeblich zur Vernunft zu bringen, ja seine Sünden auf sich zu nehmen. Aber der intrigiert nun in eigener Regie, um sich selber an Ambrosius' Stelle in Karrhanns Gunst zu setzen. Er wetteifert mit Karrhann in Versen im Ausdenken von Bosheiten. Der lässt ihn zwar gewähren, stellt ihm aber eine Falle, in die er tappt. Fulko kommt dabei um, und Dledladl wird nun ganz vom verhassten Ambrosius abhängig.

Das Lehrstück für die Liebe unter den Menschen muss beim Versuch, den Druck der Intrigen positiv auszugleichen, immer verdrehter gestaltet werden und entgleitet nach und nach der Kontrolle seines Autors. Je mehr das schweinische politische Theater sich in das des Pfarrers einmischt, desto spricht es selber in Pentameter-Versen.

Nun soll als Waisenhaus auch der Schweinestall genügen und mit dem Theaterstück eingeweiht werden, Doch es bleibt bei der Hauptprobe vor der Zensur, - und unversehens steht der Pfarrer öffentlich unter falscher mehrfacher Anklage (“Das Volk braucht so was”). Der Bischoff hilft noch dabei ein falsches Geständnis zu erpressen und reist dann ab. Unschuldige sind getötet oder im Stall eingesperrt. Diese können sich nur noch durch Selbstmord einem Schauprozess entziehen. Jetzt wo es keine Waisen mehr gibt, braucht es auch kein Waisenhaus mehr, findet Karrhann sofort. Doch zuvor haben sie wieder die der rasenden sexuellen Begierde des Ambrosius so wichtigen Schweine getötet. Der wild gewordene Ambrosius bringt sogleich Karrhann um, dem Dledladl die Schuld an allem zugeschoben hat. Doch um sein Leben zu retten und zu Ambrosius' Glück, hat er nun dessen Schwein zu sein. (Daniel Corti)

«Eine märchenhafte Farce um die Enteignung von Privateigentum nach 1945.»
(Felix Bloch Erben-Zeitung)

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Die Einweihung des öffentlichen Weisenhauses

1. Szene - Vor der Friedhofsmauer.

Ein Begräbniszug. Die Ministranten Fulko und Dledladl tragen den Sarg und haben Mühe damit.
Hinter dem Sarg: Der Pfarrer Koukol, die ehemalige Grundbesitzern Melusina, der Gemeindevorsteher Karrhann, der Schweinehirt Ambrosius, die Kinder des Verstorbenen Julia und Lionel. Der Begräbniszug verschwindet durch ein grosses Tor langsam hinter der Mauer. Melusina dreht sich noch kurz um.

Julia (zu Lionel) Die heult nur den Schweinen nach.

Julia und Lionel vor der Nase macht Ambrosius das Tor zu. Er selber bleibt auch draussen. Vom Begräbniszug sieht man nichts mehr.

Ambrosius Ihr nicht! Ihr bleibt hier!
Julia Wenns der Vater ist, der begraben wird...
Ambrosius Jetzt bin der Vater ich.
Julia Aber nicht der Leibliche. Das ist was anderes, wenns der Leibliche ist. Das müssen wir sehen als seine Nachkommenschaft, das passiert nur einmal im ganzen Leben, dass er stirbt.
(zu Lionel) Komm! (will das Tor öffnen)
Ambrosius (zerrt sie zurück) Hier bleiben! Weil das jetzt kein Spektakel ist, wenn jemand meine Schweine umbringt und dann krepiert am Strick.
Julia Aber das ist jetzt vorbei der Schreck, jetzt kommt die Seelenruhe und der Friede im Himmelreich, sagt Herr Pfarrer. Da kann man jetzt zugucken, wie der Friede kommt.
Ambrosius Nichts kommt. Weil jetzt ist kein Himmelreich mehr. Und auch wenn es wär - der käme nie hinein, weil er sich versündigt hat an Tieren, die wehrlos sind.
Julia Die hat er gar nicht umbringen wollen, die Schweine. Der hatte eine Wut auf Menschen.
Ambrosius Da bringt niemand Schweine um aus einer Wut, wenn er genug Menschen hat zur Auswahl. Das war Absicht, sagt Karrhann.
Julia Wut! Wut! (versucht das Tor zu öffnen)
Ambrosius (zerrt sie wiederum zurück) Gehorchen wirst du! Weil ich jetzt dein Vormund bin, wie es heisst. Anstelle des Vaters, für eine Umerziehung, heisst es.
Lionel Um-er-zie-hung!
Ambrosius Damit ihr anders seid wie er. Damit ihr die Tiere liebt, die wichtig sind für die Volkswirtschaft. Und ich passe dann auf auf die Liebe, weil ich jetzt die Schweine mit Liebe hüte von jetzt an. Die fressen zweimal im Tag und ihr fresst dann mit wegen dem kollektiven Bewusst-sein.
Lionel Be-wusst-sein!
Ambrosius Damit ihr bald fett seid. Weil ihr eine Verantwortung für mich seid von der Gemeinde, ihr zwei Monstren von einem Schweinemörder.
Lionel Keine Monstren!
Ambrosius Und was?! Der Alte ist krepiert, da bleibt nur ihr zur Abschreckung des Volks. Das schaff ich schon. Und jetzt weg! Die Leute kommen, sonst haben sie noch Ekel.
Julia Vor uns hat niemand Ekel.
Ambrosius Jetzt schon, wo euer Vater so bestialisch aufgefallen ist. Weg!

Ambrosius tritt Julia und Lionel mit den Füssen. Lionel will weg.

Julia Bleib! Sonst haben sie den Ekel wirklich.
Lionel Kein Ekel! Kein Ekel!
Ambrosius Weg sollt ihr! Aus dem Weg den Herrschaften! (peitscht sie mit einer Schweinepeitsche)

Im Tor erscheinen Pfarrer Koukol, Karrhann, Melusina. Melusina schaut der Peitschszene zu, als ob sie ihren Augen nicht trauen wollte. Koukol will Ambrosius am Peitschen hindern.

Karrhann Lassen Sie, Herr Pfarrer. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ambrosius, Julia und Lionel ab.
Karrhann Und das Grab muss weg. Weil wir keine Monumente aufrichten wollen den Staatsverbrechern.
Koukol Die Armen im Geist sind Gottes Auserwählte. Das Grab bleibt. Dunkel

 

2. Szene - Vor der Friedhofsmauer

Die Ministranten Fulko und Dledladl schliessen das Tor. Dledladl probiert, ob es zu ist.
Dledladl Jetzt kann er nicht raus.
Fulko Wenn er schon tot ist...
Dledladl Auch wenn er nicht tot ist er kann nicht raus. Und den Kindern ist der Vater weg und der Melusina ihr Vieh. Alles wird anders.
Fulko Und alles ohne Pomp. Eine Trauer ohne Pomp, das ist gleich keine Trauer mehr.
Dledladl Das war auch keine richtige Trauer, du Ochs. Das war ein Begräbnis nur so anstandshalber, damit er nicht faul wird auf der Strasse. Weil der eigentlich gar nicht in ein ordentliches Grab gehört als Selbstmörder.
Fulko Schnell gings halt. Ich hab ihm noch an den Körper gelangt mit den Fingern, weil das Glück bringt, und das Fleisch war noch warm.
Dledladl Aber Gänseblümchen blühen keine auf dem Grab wegen der Wärme.
Fulko Gänseblümchen kommen später. Das braucht nämlich seine Zeit, wo man tot ist, dass die Erde wieder fröhlich tut.
Dledladl Aber bei dem ist die Erde froh, dass er weg ist von ihr, und Blümchen kommen trotzdem keine. Weil das Grab weg muss, sagte der Karrhann. Weil einem Verbrecher wir keine Monumente bauen, so hat er es gesagt.


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