Der Blumengarten
eine liebenswürdige Beinahetragödie in einem Akt
Theaterstücke
Frühe Stücke:
Der Blumengarten (vor 1971)
Wer hat den Längsten?
(1974/75)
Das Glockenspiel im schwarzen Palast (1974)
Die Einweihung des öffentlichen Waisenhauses (1976)
Eine Blutwurst für King Kong (1978)
Schlag mich, peitsch mich, süsser Löwe (1978)
Stück ohne Titel (1979)
Liebe Spielen (1979/80)
Die letzte Hoffnung (Libretto, 1976)
Späte Stücke:
Sterns Stunden (1981)
Aus böhmischen Dörfern
Die Reise zum Mond
Kambek
Zwischen dem Kuss und Wiesersehen
Traiskirchen (1988)
Ein Neger mit Gazelle
Drei Sterne über dem Baldachin
Die Engel von Hollywood (Dramatisierung 1989/90)
Im Schatten der Büsche (1991/92) - Manuskript-Fragment
 

 

Jahr 1971
Copyright Daniel Corti
Personen 9 Pflanzen
Ort der Handlung ein grosser Garten
Zeit der Handlung  

Personen:

1 Sonnenblume
2 Rosen
3 kleine Blumen (Gänseblümchen, Veilchen, und Anemone)
1 Kaktus
1 fleischfressende Pflanze
Goldfliege
Raupe
(Statist)

In einem Akt.

 

Über das Stück

Auch im Leben der Gesellschaft der Pflanzen und Tiere geht es darum zu lieben und geliebt zu werden und um die verschiedenen Mittel dies zu erreichen. Die zwei Rosen hegen innig tiefe und unschuldige Liebe füreinander. Jetzt aber bleibt die Biene, von der sie glauben, dass sie sie am liebsten hat, weg. Sie halten diesen ungewohnten und unangenehmen Zustand nur mit Mühe aus und denken sich vielerlei Erklärungen dafür. Aufgezwungene Sehnsucht.

Die das ganze Stück alles verfolgende und etwas rechthaberisch kommentierende Sonnenblume ist eine Sonnenanbeterin. Ihre hingebungsvolle, geduldige religiöse Liebe hat aber auch eine machtbesessene, fanatische Seite: am Ende des Stückes besiegt sie durch ihre zielbewusste Standhaftigkeit die Sonne, in der Sonnenglut verdorrend.

Die drei kleinen Blümchen sind schwach und ohne weiteres einer Raupe unterlegen. Sie haben vor ihr Angst, auch wenn sie gar nicht erscheint und versuchen, sich davon abzulenken. Doch lassen ihre Angst ihr ganzes Leben bestimmen, was sie dazu bringt, sich als ihren Schutzherrn das kleinere Übel, den Nachbarn Kaktus auszusuchen. Dieser gibt sich sehr hilfsbereit, ist mit seinen vielen Stacheln aber in Wahrheit nur gierig auf kleine Blättchen und Blüten, die er mit List und Erpressung zu bekommen sucht. Die Raupe ist ja seine Freundin.

Die schon alte, aristokratische goldglänzende Fliege möchte sich gern bei einer freigebigen Blume zu Ruhe setzen. Die Rosen zu bedienen ist ihr jetzt zu mühsam. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet, doch, wie soeben auch bei den Rosen, auf betrügerische Art, weshalb ihr nun keine sich anbietet. Doch da ist eine schöne Unbekannte, die fleischfressende Blume, die sie auf schönste Weise aufzunehmen verspricht und mir der sie schon bald grosse Freundschaft verbindet...

Durch die von der Fliege heimlich gemachte Selbstbestäubung ist die Liebesbeziehung der Rosen auf die Probe gestellt, und es zeigt sich, dass ihre Liebe doch nicht so bedingungslos war, wie es schien. Aber auch nach abgetriebener Inzucht-Frucht warten sie vergeblich auf die Biene...

Die drei Blümchen finden es bald doch noch besser, es im Bauch der weissen Raupe vielleicht sich gemütlich einzurichten zu können, als vom begehrlichen Kaktus zerstochen zu werden...

Die letzte Regieanweisung gilt der Sonne: “Der ganze Garten wird sehr stark beleuchtet. Niemand bewegt sich. Dunkel.”

Liebe oder auch nur Respekt zu erlangen scheint unmöglich und hat oft tödliche Folgen. Doch wer von den entsprechenden Figuren gibt wirklich und in genügendem Mass selber Respekt und Liebe? Nur die Sonne oder vielleicht die Biene. Die Bösewichte stehen dann wenigstens mehr oder weniger zu ihrer Schlechtigkeit und wollen gar nicht mehr. Das macht sie stärker, als die, die besser erscheinen wollen, als sie es sind.
(Daniel Corti)

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Der Blumengarten

Die Bühne stellt einen großen Garten dar. Ganz vorne stehen zwei Rosen. Die fleischfressende Blume blüht an der anderen Seitenrampe. In der Mitte der Bühne sitzt eine Gruppe von kleinen Blümchen (Gänseblümchen, Veilchen, Anemone) neben der Gruppe steht ein großer Kaktus. Im Hintergrund kann man sehr gut eine Sonnenblume betrachten. Der Vorhang geht auf. Der ganze Garten ist sehr hell beleuchtet. Das Licht wird langsam schwächer. Nur die Rosen bleiben im vollen Licht und die Sonnenblume wird die ganze Vorstellung durch schwach beleuchtet. Die fleischfressende Blume und die Gruppe mit dem Kaktus bleiben die erste Szene in Dunkelheit.

1.Rose Ach, die Liebe...
2.Rose Die ewige, große, unsere Herzen mit Glückseligkeit erfüllende...
1.Rose...Lieieieiebe.
2.Rose Die Biene, die mir deinen Pollen so liebenswürdig gebracht hatte, ließ ich sehr lange meinen duftenden Saft trinken. Ich habe jetzt den rosigen Eindruck, dass mich diese Biene lieber hat als die anderen Rosen, denn sie kommt zu mir, ich hoffe, dass ich mich nicht täusche, öfters als zu den anderen, die sie nicht so lange trinken ließen. Ich will damit sagen, mein Liebling, dass uns diese Biene mehr Vereinigungen vermitteln kann als den anderen, die die fabelhafte Biene dafür nicht so gut belohnen wie wir. Wir kennen den Wert unserer...
1.Rose...Liebe. Ach mein Zückerchen, ich kann dir versichern, dass meine Staubgefässe noch voll sind. Wir haben eine glückliche Zukunft vor uns.
2.Rose Die Landung deines Pollens macht meinen Stempel unaussprechlich glücklich.
1.Rose Ich bin auch ganz glücklich, wenn ich meinen Pollen der mit dir befreundeten Biene abgeben kann. In der Abgabe meines Pollens sehe ich die Erfüllung meines Lebens. Die Vollkommenheit meines Lebens. Die Rettung der Welt.
Sonnenblume (fasziniert) Nur die Sonne ist fähig, unsere Welt zu retten Es lebe die Sonne. Die Sonne, meine Sonne... Bravo.
1.Rose Wenn deine Blättchen zärtlich beben, ergreift mich tiefe Kälte...
2.Rose Wenn deine Blättchen zitternd rascheln, ergreift mich tiefe Betäubung.
1.Rose Die Liebe bringt mir Farbe...
2.Rose Die Liebe bringt mir Duft. Ach, Süßer, mein Stempel dürstet, gib ihm Pollen, stille seinen Durst.
1.Rose Die Befriedigung deiner Sehnsucht, meine Liebe, scheint mir unmöglich zu sein, weil, obwohl meine Staubgefässe überfüllt sind, die Biene zu mir nicht kommt, und die Biene ist das einzige Wesen auf der mit Gras bedeckten Welt, das unsere Liebe versteht, und das unsere Sehnsucht nach der bezaubernden Vereinigung erfüllen kann.
2.Rose Ach, die böse Biene. Und ich gab ihr so viel zu trinken.
1.Rose Vielleicht ist sie jetzt betrunken und ruht sich aus, um neue Kräfte zum Transportieren des Pollens zu schöpfen.
2.Rose Sie ist so rücksichtslos. Sie schläft in der Luft, und wir können uns deshalb nicht lieben. Oh weh.
1.Rose Meine Staubblätter sind aufgeregt; sie wollen dir den Pollen, der auf deinem Stempel sein neues Heim zu finden hofft, übergeben und dir mit diesem Geschenk eine große Freude bereiten
2.Rose Ach, Biene, komm und erfüll meine Wünsche. Ich habe nur einen einzigen Wunsch. Mein Verlangen nach der Liebe ist so groß.
Sonnenblume Die Sonne kann alle Wünsche erfüllen. Nur die Sonne kann die größte Begierde stillen. Die Sonne gibt uns Leben, Kraft, sie steigert unsere Leistungen, sie intensiviert unsere Farbe, unseren Duft...
1.Rose unsere Liebe.
2.Rose Liebe.

Das Licht wird schwächer. Die beiden Rosen versinken in Halbdunkelheit. Die kleinen Blümchen werden plötzlich sehr stark beleuchtet. Der Kaktus bleibt in düsterem roten Licht.

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Foto: Dušan Šimánek
 
 
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