Mit den HÖschen
76 Gedichte aus den Jahren 1974/75 - eine Auswahl
Gedichte
Dreizehn Gedichte
Frühe Gedichte 1973
Nächtliche Beleuchtung 1971-73
Mit den Höschen 1974/75
Lieder u. Gedichte aus Die Engel von Hollywood 1991
Elf Lieder 1991
  Manchmal

Sie traten auf die Hälfte einer Aprikose
und sagten:“Meine Brüste sind zu weich.”
Dann putzten Sie den Schuh am Rand des
Trottoirs, und nicht einmal Tränen
stellten sich ein. “Manchmal”, sagten Sie,
“werde ich vor lauter Mitleid grausam.”

 

Bewegung

Aus Abstraktion kamen Sie in Leidenschaft,
als ob Sie sich Augenbrauen auszupften
und dann eine Sonnenbrille wollten...
“Je unsinniger, umso sinnlicher, damit es
sich dreht. Nur Raum, den
ein Standbild einnimmt,
bewältigt so viel Zeit...“

 

Auch dort

“Gehen Sie hinüber. Aber auch dort
wird das Gras gemäht und
Kirschen gepflückt. Auch dort
sägt man den Stieren Hörer ab
und heilt mit Schlangengift.
Auch dort weint man Toten nach.
Auch dort liebt man Statuen aus Bronze.
Auch dort verrutscht die Grausamkeit des Kindes
krebsartig in die Niedlichkeit des Alters.“

 

Vorher

Bei der Unzurechnungsfähigkeit der Bettfedern
zerreisst die Nabelschnur schon vor der Geburt...
Wir hielten Hochzeit ab, wobei
die Braut dem Bräutigam zu ihrem Photo sagte:
“Nicht dass du es weiterzeigst!
So habe ich ausgesehen vor der Heirat.“

 

Damit

“Als ich im Dunkeln ins Grüne schaute,
erblindete ich. Nein, vergrössern Sie
für mich keine Buchstaben. Ich
habe ein grosses Wort. Rückwärts
begrüsse ich sogar die Toten.
Haben sie Angst? Warum ich lache?
In der Zwangsjacke
rutscht eins ins zwei, damit
es an der Einsamkeit verliert...“

 

Einleitung

“Wir rannten bis zu Ihnen, und
dort fanden wir Sie nicht.“
“Geht weiter. Wenn ihr auch euch verliert,
finden wir uns.“

 

Nachher

Schon früh im Sommer
fällte man die Bäume:
“Noch grün und schon faul”,
sagte man nachher
von den Aepfeln im Gras.
“Zum Glück fällten wir aus Vorsicht
die Apfelbäume bereits vorher.”

 

Dann

“Einmal war es mir so kalt,
dass ich Haare aus dem Schoss ins Feuer warf,
um die Leidenschaft ein wenig anzuzünden.“
“Und dann? War es wärmer?”
“Dann schneite es auch auf den Beischlaf, und
mir ist nicht einmal ein Stückchen Schamdecke geblieben...“

 

Im Herbst

Im Garten fielen Blätter vor unsere Füsse.
Sie sagten: “So übereilt
sich die Blätter mit dem Sterben,
dass sie für den Tod
schon keine Zeit mehr haben.
Im Frühling Hoffnungen, im Herbst
Kompost. Arme Kinder.“

 

Im Winter

Mit abnehmender Sonnenintensität
reiften die Zweifel in Gewissheit:
“Es wird kälter”, sagten Sie,
“aber je mehr der Anfang sich ins Leere verdünnt,
umso dicker wird der Poesieschluss.
Ich liebe Sommer, aber im Winter
scheint der Mond noch stärker.“

 

Dass

Wir schauten auf den Mond.
Sie sagten: Dass sich die Mondesstrahlen
am Schluss immer an den Scherben eines Nachttopfs spalten...
“Ich werde Sie nie vergessen”, sagte ich.
“Nie vergessen als welche?” fragten Sie.

 

Nur er

Am Hang mähte die Schwüle Schlangen entzwei.
Das war der Sommer.
Auf den Bäumen war es dann so leer,
dass auch Würmer keinen Platz mehr fanden.
Das war der Herbst.
Auch durch den Schnee wurde das Nichts nicht weiss.
Das war der Winter.
So war der Frühling schon damals nicht mehr,
als er noch nicht war.
Nur der Tod, l'art pour l'art, hört und tastet...

 

Um

Wir drehten den Kopf sofort zurück:
die Bäume waren bereits verdorrt.
“Auf diese können wir
schon nicht mehr klettern”,
sagte ich. Sie sagten:
“Aber um aus dem Leben Unleben zu machen,
brauchen wir die Toten nicht.“

 

Auf dem Eiffelturm

Sie waren ausser Atem,
als wir endlich oben waren.
“So mühsam war die Wendeltreppe”, sagten Sie,
“dass anstatt hinab auf die Stadt zu schauen
ich jetzt Schwindel habe.“
“Sie wollten weiter sehen”, sagte ich.
“Ja,” sagten Sie, “aber
was ist besser: die Dunkelheit in Frage
oder die Blindheit in Antwort?”

 

Gespräch

“Weil niemand meine Tränen einfing, erkannten sie sich und
froren ein. Ich kaufte mir Schlittschuhe
und lief von mir zu mir, bis ich sie fand.”
“Kein Schmerz ist neben einem noch grösseren
kleiner. Mein Tränensee verbirgt am Grund die Wüste.”
“Das Glück besteht zu zwei Hälften aus Unglück eben.”
“Aber weil auch Eis und Sonne sich in ihrer
Einzigartigkeit im Wege stehen bis zur
Unmöglichkeit sich zu sagen, wie sie sich brauchen,
und weil das Glück sich selbst nicht sehen kann,
erfrieren Sie , und ich verdurste.”

 

Bald

“Ich träumte, dass Sie kamen und
mich küssten. Statt dessen
kamen Sie und küssten mich.
Ich fürchte Trugbilder, aber noch mehr
fürchte ich, dass auch Trugbilder
bald nicht mehr sind... ”

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